Das Lernen lernen

Eine spannende Reise durch die Windungen unseres Gehirns

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Jemand liest Ihnen eine Reihe von kleineren natürlichen Zahlen vor. Wie viele können Sie sich merken? Sechs, neun oder zwölf? Oder etwa noch mehr? Mit diesem Versuch startete Wilfried Helms, ehemaliger Gymnasiallehrer, vierfacher Vater inzwischen erwachsener Kinder und Alleininhaber der Firma „Mind Unlimited“ seinen gut besuchten Vortrag im Ringeisensaal des Ringeisen-Gymnasiums der St. Josefskongregation. Er war auf Initiative der Deutschlehrerin Lucia Mehr eingeladen worden, um Tipps aus der Praxis zu präsentieren. Rund 150 Personen (Eltern, Lehrkräfte) folgten dem ebenso kurzweiligen wie lehrreichen Vortrag.

Die Lehre aus dem ersten Versuch lautete: Das Ultrakurzzeitgedächtnis bewältigt maximal sieben kleine Inhalte (Zahlen, Wörter). Also darf man es nicht überlasten. Natürlich ist es möglich, an einem Nachmittag 40 Vokabeln zu lernen – aber bitte in kleinen Portionen! Noch leichter fällt das Lernen, wenn die Inhalte eine Struktur haben. Vielleicht lässt sich aus den zu lernenden Wörtern eine Geschichte bilden oder es ist eine Einteilung in Kategorien möglich. So etwas liebt unser Gehirn. Auch diese Erkenntnis erläuterte Helms mit treffenden Beispielen unter „freiwilliger“ Beteiligung des Publikums.

Wie groß der Unterschied im Lernerfolg ist, zeigte folgendes Beispiel: Innerhalb von zwei Minuten waren 20 Wörter auswendig zu lernen, von der einen Hälfte des Publikums in einer zufällig vorgegebenen Reihenfolge, von der anderen sortiert in Kategorien (Gewässer, Blume, Möbelstück, Verkehrsmittel).

Meer – Tulpe – Sessel – Hubschrauber – Narzisse – Pfütze – Bank – Schiff – Sofa – See – Tisch – Nelke – Eisenbahn – Stuhl – Veilchen – Ozean – Rose – Flugzeug – Auto – Teich

Meer
Ozean
See
Teich
Pfütze
Nelke
Tulpe
Rose
Veilchen
Narzisse
Sofa
Sessel
Stuhl
Bank
Tisch
Auto
Hubschrauber
Flugzeug
Eisenbahn
Schiff

Auch die deutsche Grammatik lässt sich wunderbar strukturieren, wie der Referent am Beispiel der Zeiten demonstrierte:

Ich ging entspannt in die Prüfung,
Präteritum
weil ich gut gelernt hatte.
Plusquamperfekt
Ich gehe entspannt in die Prüfung,
Präsens
weil ich gut gelernt habe.
Perfekt
Ich werde entspannt in die Prüfung gehen,
Futur I
weil ich gut gelernt haben werde.
Futur 2

Zu den drei Zeiten Vergangenheit (Präteritum), Gegenwart (Präsens) und Zukunft (Futur I) gibt es jeweils eine Zeitform, die ein „Davor“ markiert. Mit diesem Raster im Kopf sollte es leichter fallen, die richtigen Formen zu verwenden.

Zwei der fünf Säulen des Lernens waren damit erklärt. Die drei anderen sind Visualisierung („Das Bild im Kopf!“), Aktivierung („Selbst etwas tun!“) und Emotionalisierung („Wie fühle ich mich dabei?“). Natürlich gehört zu alldem die richtige Lernumgebung: strukturierter Tagesablauf, sinnvoll gestalteter Arbeitsplatz, Abstand zum Smartphone und seinen Möglichkeiten der Ablenkung. Die Notwendigkeit gerade der letztgenannten Bedingung erläuterte der Referent mit einer Grafik, die den Verlust an Konzentrationsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren eindrücklich zeigte. Der spannende Vortrag war eine gelungene Auffrischung von Erkenntnissen, derer sich Eltern, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler immer wieder bewusst werden sollten. Schließlich ist Aktivierung gefragt: „Selbst etwas tun!“

Christian Pagel