Märchenstunde der besonderen Art
„Es war einmal …“, so beginnen zuweilen Märchen. Am Ringeisen-Gymnasium der St. Josefskongregation hätte man sagen können: „Es war einmal … ein Kellertheater.“ Zwei Jahre lang lag diese wundervolle Spielstätte im Dornröschenschlaf, weil die Corona-Pandemie jegliche Aufführung unmöglich machte. Doch kürzlich wurde die Wiedereröffnung gefeiert – mit einem Märchen: „Die Schneekönigin“ gehört zu den bekannten Werken des dänischen Autors Hans Christian Andersen (1805 – 1875). Das Original hat der Schauspieler, Regisseur und Autor Wolfram Mehring inhaltlich bearbeitet und in eine Bühnenfassung gebracht. Diese wurde von zwei Kursen im Fach „Theater und Film“ der 11. und 12. Jahrgangsstufe unter der Leitung von Lucia Mehr im Kellertheater aufgeführt. Zwar mussten die Gäste noch Maske tragen, doch die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler durften unmaskiert agieren, sodass Mimik und Sprache zur Geltung kamen.
Was ist das Gute, was ist das Böse? Was ist hässlich, was ist schön? Diese Fragen durchziehen Theologie und Philosophie. Sie beschäftigen Privatleben, Gesellschaft und Politik. Die Kunst – hier die Literatur – wirft einen besonders konzentrierten Blick darauf, so auch in diesem Stück: Gerda und Kai sind schon lange befreundet, vielleicht kann man sogar von Liebe sprechen. Sie leben im Land der Schneekönigin, wo fast alles aufgrund ihres kalten Herzens zu Eis gefroren ist. Dies ist durch die Kraft eines teuflischen Spiegels geschehen. Nur ein kleines Haus und dessen Bewohner sind von dem ehemals grünen Paradies geblieben. Aber dann zerschlägt Kai den Spiegel. Ein Splitter gelangt in eines seiner Augen und auch er kann das Schöne nicht mehr sehen.
Die Schneekönigin ist hier bei weitem keine böse Gestalt, sondern eigentlich ein Opfer des Teufels, der ihr Herz zu Eis hat werden lassen. Sie sehnt sich nach Liebe und Zuneigung und versucht sie von Kai zu bekommen. Dafür nimmt sie ihn mit in ihren Eispalast und meint, ihn lieben zu können, nachdem sie aufgrund eines Paktes mit dem Teufel ihr pochendes Herz wiederbekommen hat. Gerda jedoch kann sich ein Leben ohne Kai nicht vorstellen und begibt sich verzweifelt auf die Suche nach ihm. Dabei begegnet sie interessanten Gestalten: den selbstsüchtigen Blumenköniginnen, einer Räuberbande und einer Lappin. Seit dem Zusammentreffen mit den Räubern begleitet sie ein Räuberjunge, der von ihrer Stärke beeindruckt ist. Er bewundert immer mehr die Selbstlosigkeit Gerdas, die ihr Mut und Selbstvertrauen verleiht. Als die beiden am Eispalast ankommen, muss sich Gerda der Schneekönigin stellen und ein Rätsel lösen, um Kai zu befreien. Es ist das Rätsel um das Wort, das echte Freundschaft kennt: Selbstlosigkeit.
Dieser Theaterabend zeigte einmal mehr, wie sehr der Mensch ein kulturelles Wesen ist. Die äußerst sehenswerte Aufführung wirkte auf alle Beteiligten wie ein Befreiungsschlag: Endlich wieder Theater! Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler lebten sich mit viel Gefühl und Freude am Spiel in ihre Rollen ein und zeigten sich in allen Szenen als echtes Ensemble, in dem sich einer auf den anderen verlassen kann. Damit wurden sie selbst zum Sinnbild ihres Stückes. Die Gäste genossen neben der schauspielerischen Leistung auch die abwechslungsreichen Licht- und Farbeffekte und die liebevoll gestalteten Bühnenbilder. Theaterchefin Lucia Mehr formulierte den hochaktuellen Bezug: „Lassen Sie uns auch ein wenig von Gerdas Selbstlosigkeit mit nach Hause nehmen, um gegen die Kälte, welche die aus ihrer Heimat geflohenen Menschen umgibt, ankämpfen zu können!“