Ein Zeitzeuge zu Gast am Ringeisen-Gymnasium

Noah Klieger und seine Geschichte

Noah Klieger folgte einer langfristig vorbereiteten Einladung mehrerer Gymnasien im Landkreis. Über zwei Stunden hinweg lauschten die Schüler des Ringeisen-Gymnasiums der St. Josefskongregation gebannt den überaus erschütternden Ausführungen des Referenten. So bleibt Noah Klieger auch 70 Jahre nach dem Holocaust ein wichtiger Chronist und Zeitzeuge für die Barbarei, die er persönlich in Auschwitz erlebte und überlebte.

„Es müsste ein neues Wort geben“, mit diesen Worten begann Klieger seine Ausführungen. Zu Beginn seines Vortrags setzte er sich mit dem Begriff „Holocaust“, bzw. „Shoah“, wie diese furchtbare Zeit von 1939 bis 1945 in Israel genannt wird, auseinander. Ziel der Nationalsozialisten sei es gewesen, „die Welt zu erobern“ und gleichzeitig die „vollständige Vernichtung der Juden zu erreichen.“ „Shoah“ heißt wörtlich übersetzt Katastrophe, was auf die bewusste Tötung von etwa sechs Millionen Juden eigentlich nicht zutreffe, so Klieger. Der Begriff gefalle ihm dennoch etwas besser als die übliche Bezeichnung „Holocaust“.

Im Folgenden gab er einen kurzen Abriss über die wichtigsten Etappen hin zum Holocaust: So verwies er nicht nur auf die Entstehung von „Mein Kampf“ während der kurzen Zeit der Festungshaft Hitlers in Landsberg sondern auch auf die politische Bedeutung des Reichstagsbrandes sowie auf die Funktion von Nazi-Größen wie Hermann Göring. „Mehrfach stellte er an die jungen Zuhörer die Frage: „Wie konnte dies eigentlich geschehen? Es konnte nicht sein!“ Und weiterhin stellte er klar: „Wer Auschwitz überlebt hat, musste Glück haben und es mussten Wunder geschehen.“

Insgesamt habe es über 2000 Lager gegeben, Auschwitz selbst hatte 45 Nebenlager. Insgesamt sind dort mehr als 1,4 Millionen Menschen getötet worden, davon sind 1,3 Millionen Juden gewesen. Die Leitung habe nahezu ausschließlich in der Hand von SS-Leuten gelegen. Unerklärlich sei es für ihn auch, dass Menschen (auch jüdischen Glaubens), die im Ersten Weltkrieg für ihre Tapferkeit ausgezeichnet worden sind, in Auschwitz genauso zu Opfern wurden wie alle anderen.

Aus seiner Sicht gab es zwar Deutsche, die Widerstand geleistet hätten, wie zum Beispiel die Geschwister Scholl, doch dies seien viel zu wenige gewesen. Heute werden in Israel nur 583 Deutsche unter den insgesamt 28.000 sog. „Gerechten“ geehrt und anerkannt.

Sein Vater glaubte nicht an die Möglichkeit, dass Deutschland ganz Europa mit Krieg überziehen werde, dennoch habe er ihn nach England auf eine Thora-Schule geschickt. Geboren und aufgewachsen ist Noah Klieger in Straßburg; bereits als 16- Jähriger schloss er sich einer jüdischen Untergrundorganisation an. 1942 wurde er verhaftet und über verschiedene Konzentrationslager schließlich ins KZ Auschwitz verbracht.

Am 18. Januar 1943 sei er zusammen mit 900 weiteren Menschen aus Belgien in Auschwitz angekommen. Er glaubte noch zunächst, dass er nach ein paar Monaten im „Arbeitslager“ frei kommen könnte, da dann der Krieg nach der Niederlage von Stalingrad sowieso zu Ende sein müsse, doch er „habe keine Ahnung von diesem Lager gehabt“. Man konnte dort nur durch „Wunder überleben“! Ein solches Wunder sei bereits gewesen, dass ihn eine junger SS-Mann zum Marsch in das 12 km entfernte Nebenlager am 18. Januar 1943 bei 25 Grad minus mit vorgehaltener Pistole gezwungen habe. Denn der Lastwagen, mit dem er mitfahren wollte, führte direkt in eine der Gaskammern. Dies war im Nachhinein betrachtet, sein erstes kleines Wunder gewesen.

Sein zweites „großes Wunder“ sei das Boxen gewesen. In Auschwitz II seien bereits in der ersten extrem kalten Nacht zwei Drittel der Menschen, die über 22 Stunden bei bitterer Kälte kaum bekleidet im Freien stehen mussten, erfroren.

Am Tag darauf, also am 19. Januar 1943, wurde die Frage gestellt „Wer von euch ist ein Boxer?“ Aus einer Intuition heraus habe er sich gemeldet, obwohl er kein Boxer, sondern nur ein guter Sportler gewesen sei. Genau diese Entscheidung habe ihm erneut das Leben gerettet, denn für einige Monate musste er zwar immer wieder Boxkämpfe bestehen, jedoch erhielt er eine kräftige Suppe jeden Abend, wie sie sonst nur wenige Menschen im Lager erhielten. Die übliche Suppe führte bei den extremen Arbeitsbedingungen innerhalb kurzer Zeit zu Unterernährung oder auch zu Erkrankungen wie Typhus oder Ruhr. Die Boxmannschaft, die der Kommandant von Auschwitz III – Monowitz, Heinrich Schwarz, zusammenstellte, sollte zu seinem Vergnügen Schaukämpfe veranstalten.

Die Boxmannschaft musste gegen den Schwerverbrecher und Massenmörder Kurt Magatanz antreten, der auch die Boxtruppe leitete. Dieser sei aber auch tatsächlich Profi-Boxer vor seiner Inhaftierung gewesen. Geholfen habe ihm jedoch ein anderer Box-Profi mit Namen Perez aus Frankreich, der Weltmeister im Fliegengewicht gewesen sei. Dieser habe ihm gezeigt, wie man wirklich boxt. Auch dies sei ein weiteres Wunder gewesen, das ihm das Überleben gesichert habe. Perez wurde zu seinem Freund. Genaue Absprachen halfen ihm, die insgesamt 223 Kämpfe lebend zu überstehen!

Noch weitere überraschende Wendungen führten dazu, dass er auch die Todesmärsche überlebte, obwohl sein Freund Perez dabei vor seinen Augen ums Leben kam. Unmittelbar nach der Befreiung im April 1945 stellte er sich selbst eine Aufgabe: „Du wirst erzählen, was wirklich los war!“ Genau dies sei auch der Grund, weshalb er mit über neunzig Jahren nach Deutschland fliege, um vor jungen Leuten die Wahrheit über die Situation in den Vernichtungslagen zu erzählen. Er selbst will keine Bezahlung für seine Vorträge, denn er betrachtet dies als seine „Mission“. Nur die Auslagen für Flug und Unterkunft werden ihm somit gezahlt.

Am Ende seiner Ausführungen ging Noah Klieger auch noch auf seine Tätigkeit nach 1948 ein. Er half den neuen Staat Israel aufzubauen, der heute Heimat von acht Millionen Menschen ist und zudem ein äußerst fortschrittliches Land sei, was auch Neid in den umliegenden Staaten hervorrufe. Die heutige oft unnachgiebige Haltung Israels gegenüber Palästina verteidigte er am Ende seines Vortrags deutlich. Dieser Staat Israel ist am 14. Mai 1948 schließlich gegründet worden und werde noch lange fortbestehen, davon sei er überzeugt.

Die beeindruckenden Ausführungen veranlassten einige Schüler zu persönlichen Nachfragen, obwohl die Schulglocke bereits geläutet hatte.

Barbara Gadau

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Noah Klieger bei seinem Vortrag