In Ursberg waren wieder junge Graffiti-Künstler aktiv.
Die Fußgängerunterführung an der Prämonstratenserstraße ist jetzt noch schöner.
Nach den sieben Werken der Barmherzigkeit, die seit letztem Sommer die Tunnelwand verschönern, wurde jetzt auch die zweite Wand künstlerisch gestaltet. Junge Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Assistenzbedarf haben in einem inklusiven Kunstprojekt die Schöpfungsgeschichte grafisch umgesetzt.
Bei der Bewegung durch einen langen Tunnel kann man häufig eine Entwicklung im Zeitraffer erleben. Man fährt zum Beispiel in den nördlichen Alpen im Schweizer Kanton Uri bei trübem Wetter und spärlichem Pflanzenwuchs mit dem Zug in den Gotthard-Basistunnel und kommt nach 57 Kilometern rund eine Viertelstunde später im sonnig-warmen, blühenden Tessin wieder heraus. Es ist fast wie eine Reise auf einen fremden Planeten. In Ursberg unter der Prämonstratenserstraße hat man seit kurzem die Gelegenheit zu einer Reise auf unseren eigenen Planeten in acht Bildern. Nimmt man sich für jede der großformatigen Darstellungen zwei Minuten Zeit, so dauert die Reise etwa so lang wie die durch den Gotthard-Basistunnel. Der Ursberger Tunnel ist mit rund 20 Metern zwar etwas kürzer, doch das Erlebnis ist auch spektakulär.
Ein Blick zurück in den Monat Juni des Jahres 2022: Damals wurden die sieben Werke der Barmherzigkeit, das Leitmotiv des Dominikus-Ringeisen-Werks, von jungen Sprayerinnen und Sprayern der Dominikus-Schule und des Ringeisen-Gymnasiums der St. Josefskongregation an einer der beiden Tunnelwände künstlerisch umgesetzt. „Können wir weitermachen?“, war damals die naheliegende Frage, „schließlich hat der Tunnel ja noch eine zweite Wand, die für weitere 20 Meter Kunst den Platz bereithält.“ Kurz vor den Osterferien war es so weit. In einer insgesamt viertägigen Aktion gelang das Werk vom ersten Farbtropfen bis zur Fertigstellung. Von der Dominikus-Schule nahmen acht Schülerinnen und Schüler der Berufsschulstufe zusammen mit ihrer Lehrerin Sabine Herget teil. Das Ringeisen-Gymnasium war mit acht Jugendlichen aus dem Additum Kunst und Kursen der Oberstufe mit der Lehrerin Rosmarie Noack beteiligt. Es waren immer Kleingruppen aus Schülerinnen und Schülern der beiden Schulen gemeinsam aktiv. Die betreuenden Lehrerinnen arbeiten schon seit 2021 auf dem Gebiet inklusiver Kunstprojekte zusammen. Tatkräftig unterstützt wurden alle auch diesmal wieder von den professionellen Sprayern des Vereins „Die Bunten e.V.“ aus Augsburg.
Das Bildprogramm für die Tunnelreise ist die erste Schöpfungsgeschichte der Bibel (1. Mose 1,1 – 2,4a): Jedem der Schöpfungstage ist ein einzelnes Werk gewidmet. Im ersten Bild wird eine schwarze Kugel inmitten von Finsternis durch Strahlen erhellt: „Es werde Licht. Und es wurde Licht.“ Das zweite Bild zeigt ein von Wellen aufgewühltes Meer und geheimnisvoll leuchtende Wolken darüber: „Und Gott nannte das Gewölbe Himmel.“ Eine prächtige Pflanzenwelt wächst im dritten Bild den Betrachtenden entgegen: „Die Erde brachte junges Grün hervor.“ Schließlich werden am vierten Tag Mond, Sonne und Sterne erschaffen. Ein flammender Rahmen umgibt das Bild mit dem Blick ins Universum: „Sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um über die Erde zu leuchten.“ Wassertiere und Vögel bevölkern das fünfte Bild, ein farbenfroher Himmel spannt sich über das hellblau wogende Meer: „Das Wasser wimmle von Schwärmen lebendiger Wesen und Vögel sollen über der Erde am Himmelsgewölbe fliegen.“ Dann am sechsten Tag werden alle Landtiere geschaffen und finden sich in einem üppigen Garten wieder. Etwas verblüfft lugt ein schwarzes Pferd hinter einem Baum hervor und entdeckt eine Schlange am anderen Ufer des Baches. Und der Mensch betritt die Weltbühne: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“ „Geschafft!“, könnte man das Bild Nummer 7 betiteln. Eine Figur sitzt ruhig und entspannt auf dem Planeten Erde. Sterne, Galaxien und Nebel des Universums verschleiern das Antlitz: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte.“ Eigentlich könnte die Reise hier zu Ende sein, denn die Schöpfung ist abgeschlossen und das Ziel „Planet Erde“ ist erreicht. Doch es gibt ein achtes Bild. Es präsentiert eine paradiesische Landschaft in leuchtenden Farben und mahnt die Betrachtenden, sorgsam mit der Natur umzugehen, nachhaltig zu wirtschaften und unseren Planeten nicht zu überfordern. Dass es die Natur mit diesem Anspruch (oder Zuspruch?) ernst meint, zeigt auch der streng dreinblickende Löwe in der linken unteren Ecke des Bildes. Die Bildunterschrift lautet: „Jedes Leben ist kostbar!“ Es ist eine gelungene Erweiterung des Leitsatzes des Ringeisen-Gymnasiums und des Dominikus-Ringeisen-Werks „Jeder Mensch ist kostbar!“
Das Werk ist fertig, die Botschaft ist gesetzt. Doch dahinter steht einfach eine wunderbare Erfahrung. Die Zusammenarbeit der beiden Schulen war wieder ausgezeichnet, zahlreiche wertvolle Begegnungen zwischen den Jugendlichen bereicherten die Arbeit. Und auch das gemeinsame Essen in der Mensa der Dominikus-Schule wurde sehr gelobt: leckeres Drei-Gänge-Menü, toller Service, liebevoll gestaltete Tischdekoration. Nachdem die Gestaltung der Fußgängerunterführung jetzt fertiggestellt ist, soll sie in einigen Wochen auch offiziell gesegnet werden. Bereits jetzt lädt sie zur Besichtigung ein.
Christian Pagel